Als Kriegsflüchtling nach Viersen Ompert.
Maria Hommes geb. Schulz
*1925
+2019
In
diesem Jahr, auf den Weg zu Verwandten in Polen, hab ich noch einmal mit
meiner Tochter Martina einen Abstecher nach Klenz gemacht.
Ich verlebte die ersten 23 Jahre meines Lebens in Klenz und fühle mich
meiner Heimat der Kindheit und Jugend mein Leben lang verbunden, auch wenn
ich seit 1948 dort nicht mehr lebe und alle Nachbarn und Freunde
mittlerweile verstorben oder aus Klenz weggezogen sind.
Als ich in Jördensdorf auf dem Friedhof war, wo ich meiner Tochter Martina
das Grab meiner 1928 gestorbenen Mutter zeigte, da stand dort unter allem
Gestrüpp an der Mauer doch tatsächlich noch das Kreuz von ihrem Grab.
Ich
bin jetzt kurz vor mein 90. Geburtstag und mein Sohn Hans-Peter, der auch
schon über sechzig ist, hat nun die Zeit meine Erinnerungen aufzuschreiben.
Er war 1954 das erste Mal in Klenz und lernte dort noch meine Großmutter und
meinen Vater kennen.
Ich wurde am 27. Mai.1925 als
Maria Schulz der Eheleute Stanislaus und
Stanislawa Schulz in einem kleinen Dorf in Brandenburg geboren und zog dann
als Kleinkind nach Klenz.
Meine Eltern hießen Stanislaus und Stanislawa geb. Samsunowska.
Über die Familie meiner Mutter, den Samsunowskas weiß ich nur wenig.
Sie kam wohl auch aus dem heutigen Polen.
In der damaligen Zeit gab es kein Polen. Als mein Vater Stanislaus 1899 in
Drazek, einem kleinen 150 Seelen-Ort bei Krams in der Nähe von Konin geboren
wurde, war dieses Gebiet zur Abwechselung mal wieder unter Russischer
Herrschaft.
Hier war man weder Deutscher noch Pole, man war aus dem Warthegau.
Auch in
der Geburtsurkunde ist keine Nationalität verzeichnet.
Im 1. Weltkrieg marschierten die kaiserlichen Deutschen Truppen dort ein und
der 15-jährige Stanislaus wurde nun wieder Deutscher Staatsbürger. Deshalb
musste er dann auch als 18-jähriger sofort deutscher Soldat werden. Nachdem
mein Vater ein Jahr beim Kommis war, war der Krieg auch schon verloren und
sein Heimatdorf war nicht mehr russisch sondern etwas neues Altes. Es lag
jetzt in Polen, direkt an der Grenze zu Deutschland.
Stanislaus blieb in Deutschland, heiratete Stanislawa und suchte sich Arbeit
in Commern auf einem Gut. Als mein Vater sich beruflich verbessern konnte,
zog er auf das Gut der von Treuenfels nach Klenz bei Teterow.
Meine
Mutter, Stanislawa starb im Alter von nur 29 Jahren an Kopfgrippe, so
erzählte man mir das.
Seit der Heirat war meine Mutter bis zu ihrem Tod permanent schwanger
gewesen. Drei Jungen und ein Mädchen überlebten. Die kleine Helena wurde
kein Jahr alt. Zwischendurch hatte Stanislawa noch zwei Fehlgeburten.
Verhüten kannte man auf dem Land nicht.
Meine Großmutter Josefa, die Mutter von meiner Mutter, sagte nur schon mal:
Wenn dein Vater nur die Hose an den Bettpfosten hing, dann war deine Mutter
wieder schwanger!
Mir war aber nie so recht klar was damit gemeint war. Wieso ist meine Mutter
schwanger, wenn Vater die Hose an den Bettpfosten gehangen hat? Das war ein
Thema, da wurde nicht drüber gesprochen.
Das war alles Tabu.
Ich war gerade mal drei Jahre alt als meine Mutter starb und ich hatte noch
zwei ältere und einen jüngeren Brüder. An meine Mutter habe ich keinerlei
Erinnerungen.
Das einzige was ich von ihr besitze ist das Hochzeitfoto meiner
Eltern.
Als erstes kümmerte sich dann Oma Josefa, meine polnische Großmutter um die
Kinderschar im Hause Schulz. Von ihr lernte ich auch die polnische Sprache.
Da waren der älteste Alex, Peter mit Kinderlähmung, ich und Bruno der
jüngste. Wir Schulz wohnten Mitten in Klenz in einer gutseigenen Haushälfte
mit Garten. Die beständige Begleiterin und liebevolle Ersatzmutter von uns
Schulz Kindern blieb unsere Großmutter Josefa.
Mein Vater Stanislaus heiratet irgendeine, die dann unsere Stiefmutter
wurde.
Sie war so, wie Stiefmütter im Allgemeinen beschrieben werden.
Sie bekamen von Stanislaus einen Sohn, Bernhard, der von ihr verwöhnt und
verhätschelt wurde. Wir anderen Kinder waren nur Stiefkinder und konnten
sehen wie wir rund kamen. Unsere Stiefmutter und unsere Großmutter Josefa
kamen nicht miteinander aus und so zog Josefa schweren Herzens ins
Nachbardorf zu ihrem Bruder. Oder anders gesagt unser Vater setzte sie vor
die Tür, nachdem er das ewige Gezänk der Weiber in seinem Haus satt hatte.
Nun hatte die böse Stiefmutter freie Bahn und nutzte dies weidlich aus.
Vater sah nicht oder wollte auch vieles nicht sehen, was zuhause so abging.
Ich wurde viele Male von der Stiefmutter beschuldigt, Sachen gestohlen zu
haben. Belanglose wertlose Dinge.
Mein Vater bekam abends die Klagen unsere Stiefmutter über mich zu hören und
jeder Widerspruch von mir wurde unterdrückt.
Die Bestrafung wurde mit dem Gürtel vollzogen.
Ab und zu kam ich auch für längere Zeit in den Kartoffelkeller, da ich nicht
geständig war.
Da war ich so um zehn Jahre alt.
Die Stiefmutter hatte für sich eine dicke wattierte Jacke genäht.
Ich kam dann dahinter, dass die Jacke sehr schwer war und dass die
Stiefmutter dort Dinge eingenäht hatte.
Alex, unser Ältester, traute sich dann, den Vater darauf hinzuweisen, dass
ich nicht die fehlenden Dinge entwendet habe und ich immer vom Vater ohne
Grund bestraft würde. Unser Vater wollte es zuerst nicht wahr haben bis Alex
die Jacke holte. Die war bereits so schwer, dass mein Vater wortlos sein
Messer aus dem Stiefel zog und die Jacke aufschnitt.
Hervor kamen eine Menge Dinge die ich nach Angaben der Stiefmutter gestohlen
hätte.
Jetzt hing der Haussegen bei Schulz mächtig schief.
Mein Vater Stanislaus ging zu Großmutter Josefa, erklärte ihr alles und bat
sie, doch wieder zurück zu kommen und den Haushalt zu übernehmen. Josefa,
die sehr an uns Schulz Kindern hing, willigte freudig ein und übernahm nun
endgültig die Herrschaft im Haus.
Es war ein Segen für uns Kinder. Die Stiefmutter hatte nun keinerlei Rechte
mehr im Haus. Während mein Vater dann im Krieg war, nahm sie 1943 ihren Sohn
Bernhard und verließ Klenz.
Man hat nie wieder etwas von ihr gehört.
Später wurde sie für tot erklärt.
Es
war ein bescheidenes Leben in Klenz. Das Haus war klein und hatte nur 3
Zimmer. Wir lebten dort zeitweise mit drei Erwachsenen und fünf Kindern. Bis
zu meinem 15. Lebensjahr habe ich kein eigenes Bett besessen. Ich schlief
mit meiner Großmutter zusammen in einem Bett. Dann mussten meine Brüder zur
Wehrmacht und ich erhielt ein eigenes Bett.
Es wurde auf einem mit Stroh
gefüllten Sack geschlafen. Jedes Jahr im Herbst wurde das Stroh erneuert.
Dafür war für alle im Dorf auf einem Stück Land eine besondere Sorte
Getreide angebaut die ein gutes Stroh fürs Bett lieferte. Was es genau war
hab ich vergessen.
Im
Dorf Klenz habe ich eine ganz zufriedene Kindheit verbracht. Ich ging in die
Dorfschule, die nur aus einer Klasse bestand. Wir waren so an die 35 Kinder
in der Klasse. Nicht nur aus Klenz sondern auch die Kinder aus Gehmkendorf
und Klein-Markow gingen hier in die Schule. Ein einziger Lehrer
unterrichtete alle Kinder. Herr Lehrer Krüger wohnte auch in der Schule im
Lehrerhaus.
Es
war normal, das wir Kinder als wir alt genug waren auf dem Gut mithalfen.
Es
war ein geordnetes Landleben.
Bei Krankheit der Kinder zahlte das Gut für seine Arbeiter den Arzt oder das
Krankenhaus. Mein Bruder Peter war oft monatelang auf Kosten des Gutherren wegen
seiner Kinderlähmung in Rostock im Krankenhaus.
Im
Sommer kamen die Schnitter aus Polen, Bessarabien oder Jugoslawien. Junge
Männer, die bei der Ernte des Getreides halfen. Die wohnten 3-4 Monate in
der Schnitterkaserne und ich, die von Großmutter bereits einiges an polnisch
gelernt hatte konnte mich nun gut mit den Schnittern unterhalten und lernte
noch mehr polnisch.
Die Politik war, soweit ich mich erinnere, kein großes Thema im Dorf und
hatte auch keinen Einfluss auf mich.
Das einzige woran ich mich erinnere ist, dass eine Adolf Hitler Eiche
gepflanzt wurde.
Dort wo der Dicke Gedenkstein lag und später der Konsum
hingestellt wurde.
Ich war als der Zweite Weltkrieg begann ja auch erst 14 Jahre alt.
Im Sommer 1939 wurden von allen Gütern und auch bei uns in Klenz eine Menge
Pferde von Soldaten abgeholt. Angeblich zu einem Manöver.
Ich erinnert mich noch gut, wie die riesige Herde von Pferden durch das Dorf
getrieben wurde. Ein alter Nachbar meinte nur, dass sieht aus, als gibt es
Krieg. Er sollte Recht behalten. Die Männer wurden Soldaten und die alten
Männer, sowie die seit langem in Klenz lebenden Polen und die Frauen im Dorf
übernahmen ihre Arbeit.
Als der Krieg 1939 mit dem Einmarsch in Polen begann änderte sich alles.
Mein Vater Stanislaus, der bereits im letzen Kriegsjahr 1917-18 des ersten
Weltkriegs Soldat war, wurde sofort wieder eingezogen.
Er war jetzt bereits 40 Jahre alt. Aber man nahm extra ältere Soldaten, die
bereits Erfahrung hatten und setzte diese mit den jungen Kriegsunerfahrenen
Soldaten gemeinsam ein.
Das Infanterie-Regiment 202, dem mein Vater angehörte, wurde am 26. August
1939 als Regiment der 2. Welle in Rostock, Güstrow und Malchin aufgestellt.
2. Welle hieß, dass diese Soldaten nicht die Angriffe führten sondern als
zweite Welle hinter den Kampftruppen herzogen.
Vor Kriegsbeginn wurde das Regiment bereits an die polnische Grenze verlegt.
Mein Vater war als einfacher Schütze dabei und zog mit der Wehrmacht in
Polen ein. Im Oktober erhielt er dann bereits 10 Tage Urlaub. Als Grund
steht in seinem Soldbuch: Kinder, Arbeiten.
Bis zum Beginn des Westfeldzuges, also gegen Frankreich, lag sein Regiment
als Reserve der Heeresgruppe B im Raum Siegburg. Im Rahmen des II. Armee
Korps kämpfte mein Vater mit seinem Regiment 1940 in Nordluxemburg, um die
Festung Maubeuge, an der Somme, bei Nantes und in der Vendée. In 1940
erhielt mein Vater sogar zweimal je 10 Tage Urlaub, um uns zu sehen. Danach
blieb er mit seinem Regiment bis Mai 1941 als Besatzungstruppe in
Westfrankreich.
Als Sold gab es in der Woche für den Schützen Schulz 12 RM und 5 RM
Frontzulage. Als er Gefreiter war, sogar 15 RM und 8 RM Frontzulage.
Zusätzlich bekamen wir, seine Familie, seinen normalen Lohn gezahlt.
1941 gab es am Anfang des Jahres direkt wieder 10 Tage Urlaub.
Als der Krieg gegen Russland begann, wurde Vater befördert. Zuerst zum
Gefreiten und dann nach Russland. Sein Regiment nahm er komplett mit. Den
Rest des Jahres musste er dann in Russland verbringen.
Hier wurde mein Vater innerhalb des Regiments zur Fahrkolonne versetzt. Er
transportierte mit Pferdewagen den Nachschub durch die Landschaft. Von
Ostpreußen aus drang das Regiment nach Nordrussland vor. Es stieß bis zum
Illmensee vor und wurde im Winter im Kessel von Demjansk eingeschlossen.
Erst nach 1 ½ Jahren im Sommer 1942 erhielt Vater wieder für 10 Tage Urlaub
und bekam als besondere Aufmerksamkeit ein Fronturlauberpaket, was als
Führergeschenk deklariert war und welches er in seinem Soldbuch zu
quittieren hatte. Man überreichte ihm für den langen kalten Winter 1941-42
in Russland die Ostmedaille „Winterschlacht im Osten“.
Von den Landsern auch Gefrierfleisch-Orden genannt.
Im
Winter 1942-43, zog mein Vater immer noch mit Pferd und Wagen durch Russland
hin und her, war es verdammt kalt und Vater erfror der linke Fuß. Er kam
dann im Februar 1943 ins Lazarett, wo man ihm einen Zeh amputierte und dafür
das Verwundeten-Abzeichen verlieh.
Bis zum September 1943 - also fast sechs Monate - verbrachte er in
verschiedenen Lazaretten wie Warschau und zuletzt in Kronach. Dann konnte
der Führer nicht mehr ohne ihn klar kommen und mein Vater kam wieder zu
seiner alten Einheit zurück, erhielt Pferd und Wagen und zottelte weiter mit
Nachschub, Munition und Verpflegung hinter der Front hin und her.
Im
August 1944 wurde er dann versetzt ins sonnige Italien. Er durfte dort an
der Gotenlinie mitbauen, die quer durch Oberitalien verlief und das
Vordringen der Amerikaner aufhalten sollte. Es war ein reiner
Stellungsausbau, wozu er dem Baupionierbatallion 788 zugewiesen wurde. Auch
erhielt er hier seine Beförderung zum Unteroffizier. 1945 wurde er dann bei
den Engländern Kriegsgefangener und nach Ägypten verbracht. Hier blieb er
bis 1947 und wurde dann mit einem Schiff in seine Heimat nach Deutschland
transportiert und dort in die Russische Zone entlassen.
Klenz war ein Dorf, wo die Landwirtschaft das Leben bestimmte. Das Getreide
musste geerntet werden und die Natur nahm keine Rücksicht darauf, das Krieg
war. Mit dem Krieg gegen Polen wurden viele Nachbarn und Freunde als
Soldaten eingezogen. Mein Vater und zwei meiner Brüder mussten auch Soldat
werden. Nur mein Bruder Peter nicht, denn der war wegen der Kinderlähmung
freigestellt und arbeitete als Schustern in Rostock.
Nun fehlten die Männer die die Arbeit machten. Aber nach kurzer Zeit des
Krieges kamen polnische Kriegsgefangene die auf dem Gut zu arbeiten mussten.
Dann auch einige Franzosen. Ich habe oft mit den Franzosen auf dem Feld
gearbeitet. Einer, er hieß Bruno sprach akzentfrei Deutsch. Er kam aus dem
Elsaß und war mit einer deutschen Frau verheiratet.
Die Gefangenen lebten in der großen Scheune und nicht in der
Schnitterkaserne wie früher die Wanderarbeiter aus Polen und anderen
Staaten. Mit den Leuten kamen wir gut zurecht. Später waren es russische
Kriegsgefangene die die Arbeiten auf dem Gut verrichteten.
Da ich ab
1942 im
Kindergarten in Teterow als Kindergärtnerin arbeitete und auch dort im
oberen Stockwerk wohnte, hab ich nicht so den Überblick, wie die Arbeit mit
den russischen Kriegsgefangenen war.
In dieser Zeit hatte ich auch einen ersten Freund. Herbert Voss hatte ich in
Teterow kennen gelernt als er dort seinen Erholungsurlaub von 14 Tage
verbrachte. Wir trafen uns einige Male und dann verschwand auch Herbert für
immer im Krieg.
Ich war 14 Jahre alt, als der Krieg mit Polen begann und mein Vater uns für
lange sieben Jahre verließ. Als er wiederkam war ich 21 Jahre und erwachsen
geworden.
Ich leistete im Krieg mein Pflichtjahr im Gut ab und arbeitete dann als
Kindergärtnerin im Kindergarten in Teterow ab. Der steht immer noch und ist
heute eine Galerie. Zum Ende des Krieges musste ich dann in der
Munitionsfabrik von Primerwald bei Schwerin arbeiten, wo Granaten
hergestellt wurden. Granaten drehen nannte man das. In unterirdischen
bunkerähnlichen Anlagen wurde der Sprengstoff gewogen und musste genau aufs
Gramm in die Kartusche gefüllt werden.
Dann wurde die Granate oben aufgedreht und fertig war ein Geschoß.
Ich hatte die Aufgabe mit russischen Frauen die Granatspitzen zu entfetten.
Dafür hatten wir in einem Kleiderlager eine Unmenge von gebrauchtem
Kleidungsstücke. Es war auch viel Kinderkleidung dabei die noch gut war.
Erst nach dem Krieg wurde mir bekannt woher die Kleidung gekommen sein
könnte. Die russischen Frauen hatten auch Kinder die mit ihnen im
Barackenlager lebten und sie sagten mir, dass sie für die Kinder fast nichts
an Kleidung hätten und hier würden die noch recht guten Sachen zum entfetten
benutzt. Da nur ich die Kleidung aus der Kleiderbaracke immer in die Fabrik
holen durfte die in einem unterirdischen Bunkern war, hab ich dann ein paar
Mal auf dem Weg durch den Wald einige Kindersachen dort für die Frauen
versteckt wo sie bei ihrem Weg zu Baracke vorbeikamen. Ein älterer
Unteroffizier der uns beaufsichtigte, nahm mich irgendwann zur Seite und
sprach mich darauf an, er sagte mir, dass jemand ihm gesagt habe das ich
Sachen wohl auf dem Weg in die Fabrik absichtlich verloren habe. Als ich ihm
nur ansah und keine Antwort gab, sagte er weiter, er habe auch Kinder in
meinem Alter und er hätte die Pflicht mich zu fragen. Wenn ich aber nichts
dazu wüsste wäre das erledigt. Ich soll aber nichts mehr verlieren. Weder
die russischen Frauen noch ich haben irgendwelche Strafe erhalten. Mit den
russischen Frauen in der Munitionsfabrik habe ich mich gut verstanden. Die
Frauen waren sehr dankbar, dass ich ihnen öfters Kleidung für die Kinder
beschafft habe. Sie haben mir immer gesagt wie weit die Russen schon waren.
Sie waren gut informiert obwohl sie nur hier in dem Fabriklager lebten.
Eine machte mir mal klar das sie so was wie einen Radioempfänger haben
würden. Sie hatten mir auch gesagt, dass ich keine Angst haben müsste wenn
die Rote Armee kommen würde um sie zu befreien. Sie würden mich schützen.
Aber da ich am Wochenende immer nach Klenz fuhr kamen die Russen
ausgerechnet an einem Tag als ich in Klenz war.
Wie sich dort die befreiten Gefangenen verhalten haben, weiß ich nicht, da
ich nach den ersten Vorfällen für viele Tage von meiner Großmutter versteckt
wurde.
An
einem Freitagabend Ende April kurz vor Kriegsende, als ich aus Schwerin
zurück nach Klenz kam, war mein Bruder Alex dort, der als Funker bei den
Soldaten war. Die Russen waren schon kurz vor Berlin und alle versuchten ihn
zu überzeugen, dass er nicht zu seiner Truppe zurückgehen sollte, da alles
bereits in Auflösung sei und der Krieg verloren ist.
Er empfand das als
Verrat an seinen Kameraden und sagte, dass er dies nicht machen könnte. Ich
versuchte auch ihn zu überreden, dass er nicht zurück zur Truppe gehen
solle, sie würde am Montag auch nicht mehr in die Munitionsfabrik fahren.
Alex erklärte mir, dass das auch bei mir Fahnenflucht sei, da ich für die
Arbeit vereidigt worden sei.
Alex habe selbst gesehen, was mit den Leuten geschehe, die sich von ihrer
Truppe entfernt haben und von den Greifkommandos der Wehrmacht erwischt
wurden.
Kurzer Prozess. An die Wand gestellt und sofort erschossen.
Das gleiche haben die auch mit Arbeitern gemacht, die nicht in die Fabrik
gegangen seien. Am nächsten Tag stieg Alex in den Zug Richtung Berlin, um zu
seiner Einheit zu kommen und galt seitdem als vermisst.
Ich bin am Montag nicht mehr zur Munitionsfabrik gefahren.
Das Gerücht, dass die Russen kommen, verbreitete sich bereits einige Tage
vorher. Aber nichts Genaues war zu erfahren. Dann, ich meine es war der 1.
Mai genau zur Mittagszeit um 12 Uhr rumpelten 3 Panzer langsam durch Klenz.
Ein paar Soldaten liefen neben und hinter den Panzern und nach einigen
langen bangen Minuten waren die russischen Kampftruppen wieder auf der
anderen Seite aus dem Dorf hinaus.
Das war also der Einmarsch der Russen in Klenz?
Die hatten uns Zivilisten überhaupt nicht besonders beachtet.
Da war wohl vieles nur Gräuelpropaganda, was da so alles an schrecklichen
Geschichten kursierte.
Unsere Angst ließ nach und wir fühlten uns wieder sicherer, da in den
nächsten Stunden rein gar nichts mehr passierte.
Dann kam die zweite größere Gruppe von verlottert aussehenden russischen
Soldaten mit kleinen Pferdewagen, die den Nachschub hinter den Kampftruppen
herfuhren.
Diese waren ganz anders als die Kampftruppen. Ohne Disziplin und ohne
Vorgesetze, die sie zurückhielten, drangen sie in unsere Häuser in Klenz
ein. Sie nahmen alles, was ihnen gefiel, mit.
Sie drangen zu viert in unser Haus ein, wo ich mit meiner Großmutter Josefa
in der Küche saß. Sie durchsuchten das Haus und auch den Dachboden, wo sie
nur eine Schlachtbank fanden. Einer hielt dann Oma Josefa fest und die
anderen drei zerrten mich auf den Dachboden.
Dies geschah nicht nur in unserem Haus in Klenz. Es erging vielen Mädchen
und Frauen in Klenz so. Nie haben wir über das erlebte miteinander
gesprochen, es sollte nicht geschehen sein. Jede von uns schleppte ihre
Qualen mit sich und redete Jahrzehnte nicht darüber.
Bei mir hat das Schweigen über 50 Jahre gedauert, bis ich es irgendwann
meinen Kindern erzählte. Auch mein Mann Hans hat es nie erfahren.
Mein Sohn Hans-Peter fragte mich einmal, ob Vater dies wüsste. Weshalb
sollte ich es ihm erzählen? Er hat mir auch nie ein Wort darüber gesagt wie
und wo er sein Bein verloren hatte. Weshalb sollte ich ihm das mit den
Russen erzählen?
Ich wurde mit meinen Freundinnen Anni und Christel für die nächsten 14 Tage
in einem kleinen Kartoffelkeller versteckt, wo nur eine winzige Luke
hineinführte und die mit einem Teppich verdeckt war, wo Tisch und Stühle
drauf standen. Noch nach Tagen kamen Russen ins Haus und suchten nach
Mädchen und Frauen. Oma Josefa hatte aber alle Kleider und alles was darauf
hinweisen konnte das hier außer sie noch ich lebte außer Haus versteckt.
Sie tappten mit ihren schweren Stiefel über die Einstiegsluke und wir kamen
fast um vor Angst entdeckt zu werden und den Russen in die Hände zu fallen.
Aus den umliegenden Dörfern hatten die russischen Soldaten viele Mädchen
geholt und zu einem Siegesfest, das mit einer Menge Alkohol in einer Scheune
im Nachbardorf Jördendorf „gefeiert“ wurde, verschleppt. Mehrere Mädchen und
Frauen haben dieses Fest nicht überlebt, einige danach Selbstmord begangen,
da sie mit dem Erlebten nicht weiterleben konnten. Es sollen 300 bis 400
Tote gegeben haben in Teterow und Umgebung.
Nach zwei Wochen ließ der Terror nach und die Soldaten zogen bis auf eine
kleine Gruppe ab. Dann erhielt das Dorf einen russischen Offizier als
Kommandanten. Er sorgte für Ordnung und hatte seine drei Soldaten, die noch
mit ihm im Dorf verblieben, fest im Griff. Die Frauen konnten sich wieder
sicher fühlen. Er teilte die Leute mit Hilfe der alten Gutsarbeiter nach
ihren Fähigkeiten zur Arbeit in Stall und Feld ein.
Man konnte mit ihm reden, mit Problemen zu ihm kommen und er bemühte sich
wieder Normalität in Klenz einkehren zu lassen. Ich fand, dass er der
einzige anständige russischer Mann war den ich je kennen gelernt habe.
Ich arbeitete wie alle anderen auf dem Feld, wo wir alle von Boris, einem
jungen Russen mit einem Gewehr bewacht wurden. Nicht damit wir nicht
wegliefen, sondern er sollte darauf achten, dass wir arbeiteten.
Einmal wurde unser Russe von einem Hund aus dem Dorf dauernd angebellt. Als
der Hund sich nicht verscheuchen ließ hat der Soldat sein Gewehr genommen
und den Hund erschossen. Als der Kommandant den Schuss hörte, kam er
angelaufen und beschimpfte den Soldaten wütend vor uns Frauen die wir alles
ängstlich beobachtet hatten. Der Kommandant schlug Boris dann mehrmals ins
Gesicht bis er blutend zusammenbrach. Danach haben die Soldaten nie mehr ihr
Gewehr benutzt.
Ich wurde noch nach Jahren von Angstzuständen gepackt wenn ich russischen
Soldaten begegnete. Dies war auch der Grund, weshalb ich so schnell wie
möglich in die Westzone wollte. Nur weg von allem russischem. Ich wollte
jedoch solange bei Oma Josefa bleiben, bis Vater oder Alex wieder nach Hause
käme.
Mein Bruder Alex? Keiner wusste was aus ihm geworden war.
Bruno war bei der Marine gewesen und in Schleswigholstein bei den Engländern
als Kriegsgefangener.
Peter lebte in Rostock und arbeitete dort als Schuster. Vom Vater Stanislaus
hatte ich und meine Großmutter auch seit dem Kriegsende nichts mehr gehört.
Ob sie noch lebten Vater und der Bruder oder ob sie tot waren.
Wir wusste es nicht.
Damit meine liebe alte Großmutter nicht alleine war, versprach ich ihr zu
bleiben bis Vater oder Alex, was wir beide hofften, zurückkommen würde.
Ich musste jetzt auf dem nun verstaatlich Gut Klenz arbeiten. Der Gutsherr
war seit 1931 tot und seine Frau am Ende des Krieges in den Westen
geflüchtet. Im Frühjahr 1947, also zwei Jahre nach Kriegende pflanzte ich
mit anderen in der Nähe des Dorfes Kartoffeln auf einem großen Feld. Ein
Junge kam aus Klenz gelaufen und rief immer wieder meinen Namen und was noch
wichtiger war, er rief mir zu: Maria, dein Vater ist wieder zu Hause.
Mit einem Schiff aus Ägypten durchs Mittelmehr bis nach Deutschland und dann
entlassen aus der englischer Kriegsgefangenschaft war er wieder in Klenz.
Mein Vater war jetzt 48 Jahre, einer seiner Söhne vermisst, seine Frau mit
ihrem gemeinsamen Sohn verschwunden und seine Tochter wollte nun mit 22
Jahren so schnell wie möglich in den Westen, wo auch bereits sein beiden
weiteren Söhne Peter und Bruno waren.
Als er in den Krieg ziehen musste hatte mein Vater eine Familie, jetzt hatte
er nur noch ein leeres Haus ohne Kinder, wo auch noch eine
Flüchtlingsfamilie zwangsweise seit einem Jahr einquartiert war.
Irgendwann 1946 standen diese Flüchtlinge, die aus dem Sudetenland, was
jetzt zur Tschechoslowakei gehörte, verjagt worden waren vor der Tür.
Flüchtlinge gab es in der Zeit so viele und sie wurden von denen, die noch
Haus und Heimat hatten, nicht gerade freundlich aufgenommen. Flüchtlinge
waren Menschen zweiter Klasse und die Kriegsschuld, die sie mit dem Verlust
von Hab und Gut zu zahlen hatten wollte man nicht mit ihnen teilen. Sie
hatten eben Pech gehabt. Habenichtse mit denen man nicht freiwillig das
Wenige teilen wollte, sondern denen man etwas von dem Wenigen abgeben
musste.
Ich sollte auch bald ein Flüchtling werden auf der Flucht vor dem Erlittenen
und getrieben von der immer noch vorhandenen Angst.
Die junge Flüchtlingsfrau stand irgendwann vor der Tür, zeigte Oma einen
Zettel vom Kommandanten und erklärte Oma Josefa, dass sie ihr und ihren drei
Kindern ein Zimmer auf Weisung des Ortkommandanten zu geben habe.
Das passte Oma Josefa aber überhaupt nicht, da sie ja täglich mit der
Rückkehr von Stanislaus und Alex aus dem Krieg hoffte.
Sie knallte einfach die Tür zu und ließ die Familie draußen auf ihren
Bündeln sitzen. Erst ich konnte dann Oma Josefa davon überzeugen, dass sie
die Flüchtlingsfamilie Weiß aufnehmen müsse. Also zog Frau Weiß mit ihren
beiden Söhnen Peter und Rudi sowie dem Mädchen Hanne in eins der Zimmer ein.
1947 kam nun mein Vater nach Hause, seine Frau war weg, eine neue junge Frau
im Haus, Vater war ein praktisch verlangter Mensch, weshalb also nicht mit
ihr den Neuanfang wagen.
Er wurde wieder Schweinemeister auf der
Landwirtschaftlichen-Produktions-Genossenschaft in der nun russischen Zone.
Er hatte wieder eine Familie. Mit Maria Weiß, seiner neuen Frau, bekam er
dann eine letzte Tochter Silvia. Es war sein siebtes eigenes Kind.
Die Kinder von Maria Weiß, Peter, Rudi und Hanne behandelte er wie seine
eigenen Kinder. Für mich sind sie bis heute wie Geschwister.
Die
Flucht
Ich blieb noch zwei Monate, packte dann meinen Rucksack und verließ Klenz,
meinen Vater, Oma Josefa und die Familie Weiß.
Die Zonengrenze war in dieser Zeit, 1947, noch recht durchlässig.
Ich hat ein Ziel. Ich wollte als erstes nach Ülzen in die Lüneburger Heide,
wo Bruno in einem Hotel arbeitete. Auch der Bruder meiner 15 jährigen
Freundin Christel war in Ülzen gestrandet. Also beschlossen wir beide
gemeinsam den Weg in den Westen zu wagen. Das Wenige, was wir mitnehmen
konnten und überhaupt besaßen, passte in einen Rucksack.
Mit der überfüllten Eisenbahn fuhren wir in Richtung Grenze.
Im Zug quetschten wir uns mit vielen anderen im Gang und es wurden
Erfahrungen ausgetauscht, wie man am Besten über die Grenze kommen könne.
Ein junger Mann in unserem Alter sagte, dass er mich mitnehmen würde wenn
ich auch an der zweiten Station vor der Grenze aussteigen würde. Es wären
dann ein paar Stunden Fußweg durch einen Wald, aber das wäre ein sicherer
Weg.
Ich bestand darauf, dass auch Christel mitdürfe, allein wolle ich auf keinen
Fall mitgehen. So stiegen wir drei zwei Stationen vor der Grenze aus und der
junge Mann hatte nicht zuviel versprochen. Er kannte die Wege, ohne auf
russische Grenzposten zu stoßen, die sie alle sicher in die Westzone
brachten.
Er ging diesen Weg jede Woche mehrmals, um vergrabenes Familiensilber und
Wertgegenstände von dem ehemaligen Gut der Eltern in die Westzone zu
schmuggeln. In der Westzone angekommen setzen wir beiden Mädchen uns in
einen Zug und kamen spät am Abend in Ülzen an.
Wir suchten in der nur spärlich beleuchteten Stadt nach dem Haus wo Bruno
wohnte. Christel musste mal für kleine Mädchen, gab mir ihren Rucksack und
verschwand hinter einer Häuserecke. Es war aber eine Ruine und sie stürzte
in einen Kellerschacht. Es brauchte fast zwei Stunden bis ich sie aus diesem
wieder an die Oberfläche gerettet hatte. Sie hatte außer ein paar
Hautabschürfungen keine schwerwiegenden Verletzungen erlitten.
Zerrissen und verdreckt fanden wir endlich das Haus, wo Bruno ein winziges
Zimmer hatte. Christel besuchte am nächsten Tag ihren Bruder und wollte nach
einigen Tagen wieder zurück nach Klenz zu ihren Eltern. Bei Bruno konnte ich
nicht bleiben, also reiste ich mit Christel erst mal nach Schleswig, wo mein
Bruder Peter gestrandet war. Er arbeitete dort als Schuster. Peter war zwar
durch seine Kinderlähmung etwas gehbehindert aber sein Leben als Krüppel
hatte ihn auch selbstbewusst gemacht. Er nahm sich der beiden Mädchen an und
ging mit ihnen ohne Probleme wieder über die Grenze in die Ostzone. Er
konnte dadurch auch seinen Vater und seine Großmutter wieder sehen. Für ihn
war es das letzte Mal, dass er sie sah und dass er in Klenz war. Ich sah
meinen Vater und Oma erst 7 Jahre später wieder, als ich das erste Mal mit
meinem Sohn Hans-Peter in die Ostzone reisen durfte.
Mit mir fuhr er dann wieder auf Schleichwegen in den Westen nach Schleswig.
Ich meldete mich dort als Flüchtling an und wurde in ein Auffanglager nach
Lübeck, was direkt an der Grenze zur Ostzone lag, geschickt. Ich hatte dort
jedoch immer die Angst, dass die Russen irgendwann auch dort sein würden und
wollte weiter in den Westen. Als ein Transport nach Wipperführt bei
Wuppertal ging, meldete ich mich sofort freiwillig. Das Leben in den Lagern
war überall gleich. Enge Baracken oder alte Kasernen, die immer bis auf dem
letzen Platz in jedem Zimmer gefüllt waren, mäßiges Essen aber immerhin
soviel, dass man nicht zu hungern brauchte.
In
Wipperführt bekam ich von der Arbeitsvermittlung auch schnell eine Adresse
in Bracht, in der Nähe von Kaldenkirchen, wo ein Bauer jemanden suchte, der
auf seinem Hof mitarbeite. Ich meldete mich und dachte an eine Arbeit in
Küche und Haus. Ich sollte aber eine polnische Magd bei der Stallarbeit und
beim Melken ersetzen, die im Krieg auf den Hof gekommen war und nicht zurück
nach Polen wollte. Ich blieb nur einen Tag dort, da ich erkannte, dass es
wenig Zukunft bot, auf einem kleinen Bauernhof zu arbeiten und dazu noch als
Kuhmagd.
Auf der Rückfahrt im Zug lernte ich dann eine Frau aus Viersen
kennen. Die gab mir eine Adresse in Viersen, wo ich mich doch mal mit ihrer
Empfehlung als Hausmädchen vorstellen solle.
Nun war ich dort angekommen wo ich in Zukunft leben, meinen Mann Hans
kennenlernen und eine Familie gründen sollte. In Viersen und dort fand ich
mein zuhause im Ompert.
Ich stellte mich bei der Familie vor. Familie Kremer hatte zwei Kinder und
ich übernahm dort die Haushaltsarbeiten. Der Mann verdiente gutes Geld auf
dem Schwarzmarkt mit dem Verkauf von Zigaretten. Zigaretten waren ein
wichtiges Tauschobjekt. So ein richtiger Raucher braucht seine Kippen, um
sich langsam zu vergiften, sonst fühlt er sich nicht wohl. Da Zigaretten
knapp waren, waren sie entsprechend begehrt und teuer. Als dann 1948 die
Währungsreform stattfand, die Reichsmark wurde abgeschafft und die DM
eingeführt, verschwand der Schwarzmarkt von heute auf morgen und nicht die
Zigarette sondern die DM wurde die begehrte gültige Währung.
Auch für den Kriegsgewinnler Kremer war das Leben in Saus und Braus vorbei.
Eine Haushaltshilfe konnte man sich nicht mehr leisten und ich wurde
entlassen. Ich fand schnell wieder einen Job in einer Metzgerei, aber der
lag mir nicht besonders und so ging ich in Stellung bei Frau Krone, einer
Witwe mit großem Haus.
Frau Krone war eine geborene Greefs, die Familie besaß einige der größten
Webereien in Viersen. Als ich bei Frau Krone im Dienst stand, das war in der
schönen alte Villa an der Josefkirche gegenüber von der Schule, fiel es Frau
Kronen auf, dass das junge hübsche Hausmädchen nicht ausging. Alle hatten
bereits den neuen Kinofilm gesehen und sprachen darüber, nur ich nicht. Die
Damen im Haus sprachen mich darauf an und ich erklärte es ihnen. Die
Kinokarte koste 50 Pfennig und das war mir bei einem Monatslohn von 50 DM
dann doch zu teuer. Ich war damals bereits sparsam, so wie ihr mich bis
heute kennt. Frau Krone gab mir 50 Pfennig und sagte zu mir, dass ich jede
Woche die 50 Pfennig extra bekäme, aber nur wenn ich auch dafür ins Kino
ginge. Das Kino war früher der Treffpunkt für die jungen Leute. Nur zur
Erinnerung, es gab damals noch kein Fernsehen. Also zog ich mein bestes
Kleid an und ging los zum Nationalkino, wo der neuste Film der Woche zu
sehen war. Das Kino war in der Heyerstraße, so im dritten Haus links. Aber
wie es auch heute manchmal ist, war der Film bereits ausverkauft und der
Vorfilm, Fox tönende Wochenschau, lief bereits. Die Kartenverkäuferin
meinte, dass ich noch etwas warten solle, da hier noch etliche vorbestellte
Karten lägen die nicht abgeholt wären. Wenn bis Beginn des Filmes noch
welche da wären, könnte ich noch eine bekommen. Es kamen dann noch einige
und holten ihre Karten ab und gingen ins Kino. Auch ein junger Mann mit
Anzug und Hut holte seine Karten ab, ging aber noch nicht ins Kino. Die
Kartenverkäuferin rief mir zu, dass leider alle Karten abgeholt worden
seien. Ich hatte zwar jetzt die 50 Pfennig aber konnte keine Karte kaufen.
Also wollte ich nach Hause gehen.
Da
sprach der wartende junge Mann mich an und erklärte mir, dass er auf seinen
Freund warte, der aber wohl nicht kommt und ob ich die Karte haben möchte
und mit ihm ins Kino gehen würde. Mit schnellem Blick erkannte ich, dass er
eine Karte für die besseren Ränge hatte, die horrende 75 Pfennig kostet. Ich
habe nur 50 Pfennig und kann mir diese teurere Karte leider nicht leisten.
Hans meinte dazu nur, dass er die Karte auch nicht verkaufen wolle sondern,
dass er mich gerne einladen würde. Da mir der Typ nicht unsympathisch war,
nahm ich die Einladung von Hans an. Es war wohl die beste Investition, die
Hans in seinem Leben gemacht hat. Ich putzte, kochte und verwaltete unser
gemeinsames Geld dann bis zu seinem Tod mehr als 60 Jahre lang.
Ich zerrte ihn von seinem Nachkriegsalkoholismus und brachte ihm bei, dass
man um eine Familie zu gründen, das Geld zusammenzuhalten und Verantwortung
zu übernehmen habe. Hans brauchte mich, weil er zwar die Möglichkeiten hatte
Geld zu verdienen, aber nicht die Richtung wusste in der er sein Leben
gestalten solle. Das übernahm dann ich.
So
begann dann ein neuer Lebensabschnitt für uns zwei, für Hans und mich. Das
er nur ein Bein hatte fiel bei Hans nicht auf, da er schon immer eine gute
Prothese trug.
Hans als gelernter Schreiner hatte schnell herausgefunden, dass er mit
seinem Beruf auch nebenbei eine gute Mark machen konnte. Spielzeug für
Kinder gab es fast nicht zu kaufen, da es wichtigeres gab, was die Firmen
fürs Überleben herstellen mussten. Also fertigte Hans Spielzeug aus Holz und
verkaufte dies mit Hilfe seiner Schwester Wilhelmine kurz Mine genannt.
Wenn wir eine Zukunft haben wollen, dann muss auch mal für unsere Zukunft
gespart werden. Hans verdiente gut, aber er konnte mit dem Geld nicht
haushalten. Ich machte ihm klar, dass ich ab jetzt die Haushaltführung
übernehmen würde. Hans willigte ein und ich erledigt ab jetzt alles was Geld
und Haushalt betraf.
Da
gab es dann die ersten Reibereien in der Familie. Mine, die kleinere
Schwester von Hans lebte verwöhnt von ihrem Bruder und half ihm beim Verkauf
des Holzspielzeugs wofür sie einen Anteil erhielt. Das Geld, dachte ich
können wir auch selbst verdienen und Mine wurde nicht mehr beteiligt. Das
störte den Familienfrieden der Hommes-Sippe. Da tauchte ich, ein weibliches
Wesen von irgendwoher auf und war auf einmal wichtiger als Mutter und
Schwestern. Besonders Mine hat das gestört, da für sie der große Bruder Hans
die wichtigste männliche Bezugsperson war. Sie konnte es nie gut mit mir, da
sie immer der Meinung war, dass ich ihr etwas genommen habe.
Mine war damals auch erst 14 Jahre und hatte mit 10 Jahren Ihren Vater durch
Bomben verloren. Sie hatte eine unbewältigte Vergangenheit durch den frühen
plötzlichen Tod des Vaters, wie auch ich unter der Besatzung der Russen,
Hans mit seinen nie ausgesprochenen Kriegserlebnissen, Anna die schwere
Verletzungen beim Bombenangriff erlitt oder Oma Katharina, die ihren Mann
verlor und deren Sohn, der kriegsbeschädigt sein Leben meistern sollte.
Keine von uns Frauen verlor darüber ein Wort, jede litt für sich alleine.
Familie Hommes lebte in ihrer vier Zimmer Wohnung auf dem Omperter Weg
36 (Heute 102). Opa
Peter Hommes war im März 1944 bei einem Bombenangriff auf Mönchengladbach
tödlich getroffen worden. Seine Tochter Anna wurde schwer verletzt.
Sie hatten beide Hans, der zu seinem ersten Kriegseinsatz musste, zum
Bahnhof gebracht. Der Luftangriff der englischen Flieger kam bevor der Zug
abfuhr. Hans wurde aus dem Zug geholt und durfte am Begräbnis seines Vaters
teilnehmen. Dann musste auch er in den Krieg. Er hat bis heute nie über das
damals Erlebte gesprochen. Wenn man ihn nach irgendetwas, was mit dieser
Zeit zu tun hatte, befragte, erhielt man meist eine unwirsche nichts sagende
Antwort. Eine weitere Frage traute man sich dann schon nicht mehr zu
stellen.
Oma Katharina war mit 45 Jahren eine Witwe mit vier Kindern. Ihre Tochter
Anna war bereits mit Walter, einem Wiener verheiratet und lebte nicht mehr
im Ompert.
Als Hans und ich 1950 heirateten, da wurde es noch etwas enger im
Hause Hommes. Aber da kam mein Bruder Bruno zu Besuch, fand gefallen an
Hommes Maria, also Hans Schwester und heiratete sie. So wurde aus Maria
Hommes eine Maria Schulz und aus mir Maria Schulz die Maria Hommes.
Bruno und Maria suchten sich eine eigene Bleibe in Beberich und es gab
wieder etwas mehr Platz in Oma Katharinas Wohnung.
Musste auch sein, denn Hans und ich hatten uns Nachwuchs bestellt. Im Juli
kam Hans-Peter auf die Welt und beanspruchte auch etwas Platz für sich. Die
Namensgebung war bei den Hommes immer einfach. War es ein Sohn, erhielt er
den Namen Johannes, Hans, Jan oder Peter. Auch wenn man jetzt zusammenrücken
musste, brachte Pitterke wie Oma Hommes Ihren Enkel liebevoll nannte, die
Familie auch wieder näher. Mine wollte unbedingt Patentante werden und Oma
passte auf Pitterken auf, wenn ich bei Kaisers-Kaffee Osterhasen oder
Weihnachtsmänner herstellte.
Da Hans und ich eine Ehe eingegangen waren, hatten wir auch ein Ehebett
gekauft. In unser kleines Schlafzimmer passte aber nicht alles hinein. Also
wurde das halbe Ehebett aufgestellt, daneben ein kleiner Schrank auf dem das
große Radio Marke Graetz Melodia mit magischem Auge stand und auf der
anderen Seite das Gitterbettchen für Hans-Peter. Es stand direkt unter dem
Fenster. Auch Hans-Peter erinnert sich noch an unser erstes Schlafzimmer.
Seine Erinnerungen an diese Zeit sind die angenehme leise Musik und die
großen dunkelgelben Lichtkugeln, die aus den Lüftungslöchern der Rückwand
des Radios über sein Bett gegen die Wand geworfen wurden. Als er sich
aufstellen konnte in seinem Bettchen im Winter, bedeckten Eisblumen das
ganze Fenster und wenn er seine kleine Hand dagegen drückte und das Eis
schmolz, konnte wir etwas verschwommen den Fliederbaum bei Bohnen sehen. Es
war kalt im Schlafzimmer, denn eine Heizung gab es bei uns nicht. In der
Küche glühten über Nacht einige Brikett im alten Dinsing Kohleofen und die
Tür zum Schlafzimmer war einen Spalt offen, damit es etwas beschlägt, wie
Oma Katharina das nannte. Sie war eine ergeben dem Leben Dienende.
Ich habe meine Schwiegermutter in Erinnerung, wie sie auf einem schwarzem
Krückstock gestützt am Herd, in einem blauen Kleid mit geblümter Schürze
stehend, etwas Leckeres für uns kochte.
Oder in ihrem alten Sessel in der Küche sitzend, die Brille nach vorn auf
die Nase gezogen die Rheinische Post oder in Gedanken versunken in ihrem
kleinen Gebetbuch las.
Bei Kaisers Kaffee in der Schokoladenabteilung
verdiente ich als Wochenlohn
32 DM.
Meine Schwiegermutter wohnte zeitweise bei Anna und Walter in Viersen
Raser und versorgte deren beide Kinder Roswitha und Dieter. Jeden Morgen
standen wir um 6 Uhr auf. Ich zog Hans-Peter an und setzte ihn in das kleine
Korbsesselchen am Fahrradlenker. Eine gute halbe Stunde dauerte die
Fahrradtour bei Sonne, Regen oder Schnee bis ins Raser. Dort wurde er dann
wieder in ein Bettchen abgelegt und bis zum Abend von Oma versorgt. Nachdem
die Fabriksirene um 17 Uhr bei Kaisers den Feierabend verkündete fuhr ich
ihn wieder abholen.
Und in Klenz
Die Familie Schulz und Oma Josefa warteten noch lange auf den als vermisst
angegebenen Sohn, Bruder und Enkel Alex, immer in der Hoffnung, dass er in
russischer Kriegsgefangenschaft sei.
Erst als 1956 durch den Einsatz Adenauers die letzten Kriegsgefangenen nach
elf Jahren Zwangsarbeit aus den Kohlengruben Sibiriens zurückgekehrt und er
nicht dabei war, schwand die letzte Hoffnung, dass Alex doch noch lebe.
Erst im Jahr 2008 stellte mein Sohn Hans-Peter nach einer Anfrage an eine
Bundesstelle für Wehrmachtsangehörige fest, dass Alex in einem Britischen
Kriegsgefangenenlager in Lüneburg im Juli 1945 entlassen worden war.
Er hat wohl dann versucht in die Ostzone zu gelangen. Ob er von den Russen
dabei erschossen oder nach Sibirien verschickt wurde und dort umgekommen
ist, Bleibt unklar.
Nur eine Karte von einem Kameraden im Herbst 1945 erreichte mich in Klenz.
Er fragte nur kurz an: Alex ich bin gut nach Hause gekommen, Du auch? Damals
wusste keiner von uns diese Karte zu deuten. Heute habe ich diese Frage
verstanden und es ergibt einen Sinn.
Das
Dorf Klenz 1930 - 1948
Zu Jördenstorf gehören die Ortsteile Gehmkendorf, Klein Markow, Klein
Wüstenfelde, Schrödershof und Klenz.
In Jördensdorf gab es für uns Klenzer alles was wir so benötigten. Mehrere
Bäckereien, Gaststätte, Fahrradladen, Schuster, Textilienladen, Friseur,
Friedhof und eine Kirche.
Die Kirche von Jördendorf war eine evangelische aber am Sonntagnachmittag um
18 Uhr wurde dort vom Pastor aus Teterow eine Katholische Messe abgehalten.
Es war immer zu der Zeit wo ich als junges Mädchen zum Tanzsaal hätte gehen
können.
Wir Schulz, mein Vater kam aus dem Warthegau und war wie meine polnische
Mutter katholisch, besuchten jeden Sonntag die Messe in Jördendorf, da es
für uns keine erreichbare katholische Kirche gab. Die nächste katholische
Kirche war in Marienhof oder Teterow
Das
Gut Klenz:
1314 erstmals
erwähnt, befand es sich über 400 Jahre im Besitz der Levetzow,
seit Ende des 18. Jahrhunderts der Hahn auf
Remplin.
Im Jahr 1816 kaufte der Geheime Finanzrat Israel Jacobsen das Gut Klenz,
Gehmkendorf und Klein Markow. 1872 erwarb Carl
von Treuenfels das Gut,
dessen Familie es bis 1945 hielt.
Carl Friedrich Georg von Treuenfels
(*12.
Juli 1863 in Neuhof bei Wittenburg;
† 22.
Juni 1931 in Klenz)
war Gutsbesitzer und Mitglied des Deutschen
Reichstags.
Man sagte ihm nach, dass er seine Klenzer gut behandelte, sich auch um deren
medizinische Versorgung kümmerte und die Kosten für Arzt und Krankenhaus
seiner Arbeiter bezahlte. Als von Treuenfels 1931 starb sprach man darüber,
dass er Freimauer gewesen sei und Selbstmord begangen habe. Was davon wahr
ist weiß ich nicht. Es wurde nur so darüber geredet.
Die gnädige Frau, so wollte sie immer angesprochen werden, sie hatte einen
Hamburger geheiratet und hieß nun nicht mehr von Treuenfels sondern Frau
Walter. Sie kümmerte sich nicht um die Landwirtschaft und ihr neuer Mann war
zumeist in Hamburg wo er seinen Geschäften nachging. Das Gut wurde vom
Inspektor Rathke verwalte
Das Leben im Gut- und Dorf Klenz
Getreide
Es wurden alle gängigen Sorten wie Hafer, Weizen, Gerste und Roggen
angebaut. Zum Dreschen hatten wir auf dem Gut eine eigene große hölzerne
Dreschmaschine. Sie wurde durch einen der beiden Bulldogs über einen langen
breiten Riemen angetrieben.
An der Straße nach Gehmkendorf stand die Mühle von Klenz wo das Getreide
gemahlen wurde. Es war eine Windmühle.
Im
Herbst kamen dann große LKWs mit Anhänger die Mehl oder auch das ungemahlene
Korn abholten.
Rüben
Als Viehfutter wurden die Runkelrüben angebaut und in Mieten über Winter
gelagert.
Zuckerrüben bauten wir ebenfalls an. Im Gesindehaus war eine große
Waschküche in der wurde dann Rübenkraut daraus gekocht. Rübenkraut war auch
für uns Kinder der übliche morgendliche Brotaufstrich.
Schafe
Es gab zwei Herden die jeweils von einem Schäfer betreut wurden.
Jede Herde waren so um die 200 – 300 Tiere.
Kühe
hatte wir auf dem Gut eine Menge. Es waren sicherlich an die 200 Stück. Eine
Melkerin hatte jeweils 12 Kühe zu melken am frühen Morgen und am Abend. Die
Milch wurde dann in einer Zentrifuge bearbeitet und die Sahne nach
Jördensdorf zur Molkerei geliefert. Die Magermilch wurde teilweise bei der
Schweinzucht verfüttert.
Schweine
Mein Vater betreute als Schweinemeister die Schweine. Hauptsächlich hatten
wir Sauen und mästeten nur einige Schweine für den Eigenverbrauch. Die
jungen Ferkel wurden, wenn sie 6 Wochen alt waren, an die Bauern im Umland
verkauft die sie dann mästeten. Mein Vater erhielt für jedes verkaufte
Ferkel ein Schwanzgeld von 50 Pfennige. Die Bauern kauften zumeist so acht
bis zehn Ferkel wenn sie kamen.
Pferde
Auf dem Gut waren 15 Gespanne im Einsatz mit je vier Pferden für die
Feldarbeit.
An der Stellmacherei war ein Stall für die Reitpferde die bei uns gezüchtet
wurden.
Das waren so um die 20 Pferde. Sie wurden zum reiten benutzt.
Traktoren
Bis Mitte der 30er Jahre wurde alles nur mit Pferden bewirtschaftet. Dann
bekamen wir zwei Lanz Bulldogs mit denen gepflügt und die schweren Anhänger
gezogen wurden.
Die Gebrüder Werner waren bei uns die Traktorfahrer.
Tagelöhner.
Alle die in Klenz lebten arbeiteten auch auf dem Gut. Nur wenige waren fest
angestellt wie mein Vater der die Schweinezucht leitete.
Da war noch fest angestellt der Schweizer Harmann der die Kühe betreute
sowie Wolski und Schröder die für die Pferde verantwortlich waren.
Die meisten waren Tagelöhner.
Sie erhielten alle 14 Tage nur einen geringen Lohn von ca. 10 RM.
Hatten dafür aber eine oder zwei Kühe die mit den Kühen vom Gut gefüttert
wurden aber von dem Besitzern selbst gemolken und gepflegt wurden. Die Kühe
hatten ein Nummer am Ohr um sie erkennen wem sie gehörten.
Auch hatten die Tagelöhner ein Stück Ackerland zur eigenen Bewirtschaftung.
Das waren meistens so 10 bis 15 Reihen Kartoffel, Rüben usw. die 100 bis 150
Meter lang waren.
Dorfstraße
Die Dorfstraße bis zum Schloss, wie wir das Gutshaus nannten, war mit
Kopfsteinen gepflastert. Auch die Wege zu den Ställen und bis zum Hofgarten.
Feste
Das Erntedankfest war unser Dorffest. In der Waschküche und dem Platz
davor wurde dies gefeiert. Das Gut stiftete Bier für die Männer und
Limonaden für alle. Einige im Dorf spielten ein Instrument und machten die
Musik. Zumeist wurde nach einem Schifferklavier getanzt.
Strom
Aus Richtung Gemkendorf kam der Strom über Holzmasten nach Klenz.
Wir haben für den Strom nichts bezahlen müssen und auch nicht für die
Wohnung in der wir lebten wurde keine Miete bezahlt. Dies gehörte alles zum
Lohn für Vater.
Die Tagelöhner mussten Miete und Strom bezahlen.
Lohn
Jeden Samstagmittag ging ich für unsere Familie den Lohn beim Inspektor
Rathke abholen. Rathke war der Verwalter des Gutes.
Er zahlte mir den Lohn für meinen Vater, meine Stiefmutter und für unsere
Oma aus.
Mein Vater erhielt als Schweinemeister jede Woche 32 RM als Lohn.
Dazu kam noch das Schwanzgeld, was ihm die Bauern zahlten die von ihm die
Ferkel kauften. Er war nach dem Inspektor Rathke der bestbezahlte
Landarbeiter.
Meine Stiefmutter bekam als Feldarbeiterin je nach Stunden so um die 18 – 20
RM
Die Arbeitszeit begann im Sommer um 7 und Arbeitsschluss war um 19 Uhr. Im
Winter fing die Arbeit erst an wenn es hell wurde. Es gab sechs Arbeitstage.
Auch der Samstag war ein normaler Arbeitstag.
Oma arbeitete an den Wochentagen von 9-11 und 13:30 bis 17 Uhr in der
Gärtnerei und bekam dafür 13 RM.
Sie konnte somit morgens sich um uns Kinder kümmern und mittags kochte Oma
für alle das Mittagessen.
Donnerstags hat Oma Brot gebacken. Immer acht Brote für die ganze Woche. Pro
Person im Haushalt ein Brot.
Oma bekam ihr Geld für sich. Das andere Geld gab ich meinem Vater, der
damit alles bezahlte was für den Haushalt notwendig war.
Wenn ich in den Ferien bei der Ernte half, was für uns Kinder normal war,
dann bekam ich für jede Stunde 10 Pfennig.
Das war dann eine Mark am Tag.
Ein Lutscher kostete mir 2 Pfennige und ein Brötchen in Jördendorf beim
Bäcker 3 Pfennige.
Taschengeld bekamen wir Kinder nicht.
Im Sommer kam auch schon mal der Eismann nach Klenz.
Er hatte an seinem Fahrrad zwei gekühlte Behälter woraus er uns Eis
verkaufte.
Ich habe mir dann schnell ein Ei aus unserem Hühnerstall geholt und es gegen
ein Eis getauscht.
Zusätzlich erhielten wir noch Deputat.
Ich ging Samstags zum alten Harning der mir nach einer Liste dann
Erbsen, Linssen, Salz, Mehl und was gerade so zum verteilen noch da war gab.
Kartoffel bekamen wir nicht. Die hatte jeder in seinem eigenen Garten.
Wir bekamen jeden Tag auch einen Liter frische Kuhmilch und fünf Liter
Magermilch.
Aus der frischen Kuhmilch stellte Oma Butter oder Käse her.
Die Wohnung und der elektrische Strom waren für uns auch frei.
Zusätzlich konnte sich mein Vater jedes Jahr drei kleine Ferkel nehmen.
Allerdings waren das immer welche von den zurückgebliebenen, kleinen Ferkel
die die Bauer ungern kauften.
Aber wir päppelten die Ferkel alle auf.
Private Tierhaltung
Wir hatten in unserem Schuppen und Garten eine Menge Tiere für die
Selbstversorgung.
So
an die 30 Stück Hühner hielten wir uns. Die Eier die wir nicht selbst
verbrauchten verkaufte Oma an die Schnitter in der Schnitterkaserne oder an
die Knechte die über der Schmiede wohnten.
Enten, Gänse und Kaninchen ermöglichten uns eine prima Versorgung mit
Fleisch.
Dann mästeten wir uns noch jedes Jahr drei Schweine die Vater vom Gut
erhielt.
Eins der Schweine wurde zu Weihnachten, eins zu Ostern und eins im Herbst
geschlachtet.
Das Schwein hatte dann mindestens vier bis fünf Zentner (200-250 kg)
Schlachtgewicht.
Das Schwein wurde bei uns auf dem Hof geschlachtet und verwurstet.
Der Schinken und ein Teil der Würste wurden dann bei Dietrich, die eine
Räucherkammer hatten geräuchert. Danach kamen Würste und Schinken in weiße
Säcke die auf dem Speicher gehangen wurden. Das Speck und andere Fleisch
wurde gepöckelt und kam in ein großes Holzfass mit viel Salz. Das Holzfass
stand auch auf unserem Speicher.
Gurken- und Sauerkrautfass standen im Schuppen.
Das Schwein im Herbst wurde nach der Schlachtung verkauft. Dafür
wurde dann Kleidung für die Jungen gekauft. Ich, als einziges Mädchen in der
Familie, wurde von Oma eingekleidet.
Oma hatte das übernommen und bezahlte meine Kleidung von ihrem selbst
verdienten Geld.
Eiskeller
Hinter dem Herrenhaus war ein Eiskeller aber nur für das Gutshaus. Im Winter
wurde aus dem Teich an der Außenscheune, wenn das Eis schön dick gefroren
war, das Eis geholt und dann in den Eiskeller gebracht wurde.
Maria Hommes geb. Schulz
Kontakt
|
Von Klenz bei Teterow
nach Viersen Ompert.
Das
Dorf Klenz 1930 - 1948




Maria in Ihrem Kindergarten




Mit 94 Jahren sanft
eingeschlafen ohne Krankheit. |